Welche Einschränkungen wären wegen Corona noch denkbar?
Berlin – Um das neuartige Coronavirus aufzuhalten, greifen viele Staaten zu drastischen Maßnahmen. Auch Bund und Länder in Deutschland schränken das Leben ihrer Bürger rigoros ein.
Ob die Beschlüsse die Covid-19-Erkrankungen eindämmen können, müssen die kommenden Tage zeigen. Wenn sie ihre Wirkung verfehlen, wären weitere weitreichende Schritte vorstellbar, die die Länder umsetzen müssten.
«Zur Abwehr einer Pandemie sind auch Grundrechtseingriffe möglich», sagt der Jurist und Rektor der Universität Mannheim, Thomas Puhl. «Sie müssen aber geeignet, erforderlich und verhältnismäßig sein.» Das Infektionsschutzgesetz gibt den Behörden hier zahlreiche Möglichkeiten zur Gefahrenabwehr. «Begrenzt ist das praktisch nur durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Dagegen werden sich Betroffene unter den aktuellen Umständen auch kaum gerichtlich wehren können.» Ein Überblick:
– Ausgangssperren: Sie wären in einer nächsten Stufe denkbar. Grundlage wäre Paragraf 28 im
Infektionsschutzgesetz. Dort steht, dass die zuständige Behörde – unter gewissen Voraussetzungen – Menschen verpflichten kann, «den Ort, an dem sie sich befinden, nicht zu verlassen oder von ihr bestimmte Orte nicht zu betreten, bis die notwendigen Schutzmaßnahmen durchgeführt worden sind».
Staatsrechtler Stephan Brixen von der Universität Bayreuth hält einen solchen Schritt für begründbar, da das Robert Koch-Institut die Gefährdung in Deutschland mittlerweile als «hoch» einschätzt.
Einkäufe von Lebensmitteln oder in Apotheken, Arztbesuche oder der Weg zur Arbeit wären aber mit Sicherheit weiterhin erlaubt. Ähnliche Regelungen gibt es in Frankreich und Spanien.
– Einsatz von Drohnen: In der Hauptstadt Madrid fordert die spanische Polizei die Menschen mit Drohnen auf, zu Hause zu bleiben. So lange solche Geräte das Geschehen nicht aufnehmen, ist ihr Einsatz datenschutzrechtlich unverfänglich. Heikler wird es, wenn die Geräte eingesetzt würden, um Menschen zu filmen. «Der Einsatz von Drohnen zum Erkennen von Menschenansammlungen wäre datenschutzrechtlich zumindest denkbar – zumindest dann, wenn man keine Personen erkennen kann», sagt der Staats- und Verwaltungsrechtler Heinrich Wolff von der Universität Bayreuth.
– Überwachungstechnologie: Ein Einsatz des Inlandsgeheimdiensts zur Überwachung der Bürger, wie ihn Israel plant, ist in Deutschland dagegen unvorstellbar. «Technisch wäre das durchaus machbar, wenn man zum Beispiel Apps aufspielt», sagt Staatsrechtler Rixen. Grundlage wäre auch hier das Infektionsschutzgesetz. Er sagt aber auch: «Man ginge damit an die Grenze des derzeit in Deutschland rechtlich Vertretbaren. Wenn die Krise vorbei ist, müsste man sicher prüfen, ob die bestehenden Regelungen ausreichend sind.» Dass wie in Israel der Inlandsgeheimdienst hier aktiv wird, hält er indes nicht für machbar. «Das könnten vielleicht die Gesundheitsbehörden tun mit Amtshilfe der Polizei – aber da würde man sich rechtlich schon auf dünnes Eis begeben.»
– Menschenansammlungen verbieten: Laut Infektionsschutzgesetz kann «die zuständige Behörde Veranstaltungen oder sonstige Ansammlungen einer größeren Anzahl von Menschen beschränken». Rixen meint: «Solche Regelungen wären vermutlich ab ungefähr fünf Personen anwendbar.» Dabei sei aber zu berücksichtigen, um wen es sich handele. «Auf Zusammenkünfte von Menschen, die ohnehin zuhause zusammen wohnen, würde man ja nicht abzielen.»
– Verkehrsbeschränkungen: «Auch Verkehrsbeschränkungen, etwa um den Transport wichtiger Güter wie Lebensmittel sicherzustellen, lässt das Straßenverkehrsrecht zu», sagt Rixen.
– Beschlagnahmungen: Israel will leerstehende Hotels umfunktionieren, um leicht erkrankte Patienten unterzubringen. Es wäre im Bereich des Möglichen, dass die Behörden in Deutschland für solche oder ähnliche Zwecke auch Beschlagnahmungen vornehmen. Grundlage wären dann nach Einschätzung von Rixen Regelungen der Länder zur allgemeinen Gefahrenabwehr oder aus dem Katastrophenschutzrecht.
Fotocredits: Jens Kalaene
(dpa)