Warum Geld sparen so mühsam sein kann
Mannheim – Stellen Sie sich vor, Sie hätten die Wahl: Entweder Sie bekommen heute einen Apfel oder Sie bekommen ihn morgen. Die Entscheidung wäre vermutlich einfach: Warum warten, wenn ich den Apfel schon heute haben kann? Sie würden wahrscheinlich schon heute kraftvoll zubeißen.
Aber was wenn die Frage lautet: Heute einen Apfel oder morgen zwei? Das Ergebnis wäre wohl differenzierter: Während einige den Apfel sofort essen wollen, entscheiden andere sich lieber für zwei Äpfel. Eine Frage von Geduld und Ungeduld.
Wer in einem solchen Fall wie entscheidet, wird unter anderem von den
Zeitpräferenzen beeinflusst, erklärt Prof. Martin Weber von der Universität Mannheim. «Unsere Zeitpräferenzen bestimmen, wie wir heutige und zukünftige Ereignisse miteinander vergleichen und gegeneinander abwägen», schreibt Weber gemeinsam mit David Becker in einem Band der Reihe «Forschung für die Praxis».
Allgemein verstehen Finanzwissenschaftler unter dem ökonomischen Begriff der Zeitpräferenz, dass Menschen eine Präferenz dafür haben, positive Dinge lieber früher als später zu erhalten. Ein Phänomen, das sich bei Finanzentscheidungen sehr gut beobachten lässt: «Ob und wie viel wir sparen, ist ein Entscheidungsproblem», erklärt Annabel Oelmann. «Wir müssen zwischen jetzigem und zukünftigem Konsum abwägen», erläutert der Vorstand der Verbraucherzentrale Bremen. «Das Geld, das wir heute ausgeben, steht uns morgen nicht mehr zur Verfügung.»
Um heute gut zu leben, nehmen Verbraucher daher auch oft Kredite auf. «Das fängt bei kleinen Dingen an», hat Marianne Gatzweiler beobachtet. «Selbst Urlaub kann man finanzieren», erklärt die Vermögensbetreuerin der PMP Vermögensmanagement in Düsseldorf. Auch die Kosten für Telefon und Internet könnten für eine vierköpfige Familie schnell bei mehr als 100 Euro im Monat liegen. «So kommt vieles zusammen, und man hat nur einen kleinen Spielraum zum Sparen.»
Dabei sind die Bundesbürger genau darin eigentlich gar nicht so schlecht. Denn die
Sparquote bleibt in Deutschland stabil, hat der Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken (BVR) aus Anlass des bevorstehenden Weltspartages (30. Oktober) ermittelt.
So legten die Bundesbürger im Frühjahrsquartal 2017 im Schnitt 9,7 Prozent ihres verfügbaren Einkommens beiseite. Die Sparquote war damit ähnlich hoch wie in den Jahren 2015 und 2016, als sie bei 9,6 beziehungsweise 9,7 Prozent lag.
Beliebteste Sparform laut BVR: die Bankeinlage. Insgesamt parkten die Bundesbürger 121,5 Milliarden Euro bei Banken. Und das trotz der niedrigen Zinsen. In Wertpapieren legten sie 32,5 Milliarden Euro an, nach 49,6 Milliarden Euro im entsprechenden Vorjahreszeitraum.
Neben Wertpapieranlagen sind weiterhin auch selbst genutzte und vermietete Immobilien angesagt. Im Vergleich zum Vorjahr gab es bei der Beliebtheit einen leichten Rückgang auf 54 Prozent. Das zeigt das Vermögensbarometer 2017, das der Deutsche Sparkassen- und Giroverband (DSBV) am Dienstag vorgestellt hat.
In der repräsentativen Umfrage gaben 59 Prozent der Befragten an, dass sie mit ihrer finanziellen Situation zufrieden sind. Allerdings ist jeder zweite wegen der Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentral Bank besorgt.
Knapp ein Viertel der Befragten betreibe zudem keine Altersvorsorge – insbesondere jüngere Menschen und Personen mit niedrigem Einkommen. Dabei müssten aus Sicht von DSGV-Präsident Georg Fahrenschon gerade Menschen mit geringerem Einkommen ihre Sparanstrengungen angesichts der ausbleibenden Zinsen verstärken. Damit sie Versorgungslücken im Rentenalter vermeiden.
Im Alltag werden Sparanstrengungen oft wieder eingestellt oder verschoben. «Wir leben im Hier und Jetzt», erklärt die Finanzpsychologin Monika Müller dieses Phänomen. «Wenn wir Geld übrig haben und es vielleicht für etwas Schönes ausgeben, löst das ein gutes Gefühl aus.» Das Geld für später beiseite zu legen, sei hingegen sehr abstrakt und daher auch nicht mit positiven Emotionen verbunden.
Auch wissenschaftliche Untersuchungen, auf die Prof. Weber und Becker in ihrem Forschungsband verweisen, zeigen dieses Phänomen auf. So wurden in einem Experiment Angestellte eines Unternehmens gefragt, welchen Snack sie in einer Woche lieber haben wollten, einen gesunden aus Obst oder einen ungesunden aus Schokolade. 74 Prozent der Teilnehmer gaben demnach an, das gesunde Obst zu bevorzugen. Am Tag, an dem der Snack verteilt wurde, fragten die Forscher allerdings erneut: Gesund oder ungesund? Das Ergebnis: Nur noch 30 Prozent der Teilnehmer griffen zu dem Obst, 70 Prozent hingegen entschieden sich für die Schokolade. Die Teilnehmer hatten also ihre Entscheidung geändert – und sich aus Sicht von Forschern «inkonsistent» verhalten.
Auf das Sparen lässt sich ein solches Verhalten übertragen. Weber und Becker sprechen in diesem Zusammenhang von mangelnder Selbstkontrolle: «Obwohl man sparen möchte, tut man es nicht. Man verfügt folglich nicht über genügend Selbstkontrolle, sich heute zu einem Verhalten zu zwingen, das langfristig optimal wäre.»
Begünstigt wird diese Tendenz aus Sicht von Oelmann durch ein aktuell bestehendes Problem: die niedrigen Zinsen. «In der aktuellen Niedrigzinsphase werden sicherheitsorientierte Sparer nicht belohnt», erklärt die Verbraucherschützerin. Sparer bekommen seit langem kaum noch Zinsen auf ihren Konten gutgeschrieben. Berücksichtigt man die Teuerungsrate, verlieren sie sogar Geld. «Vor diesem Hintergrund ist es nachvollziehbar, warum einige lieber auf das Sparen verzichten und stattdessen lieber ausgeben.»
Doch es gibt einen Ausweg aus diesem Dilemma: «Wichtig ist für Verbraucher, einen Überblick über die regelmäßigen Ein- und Ausgaben zu haben», rät Oelmann. «Wem es möglich ist, einen Teil seiner monatlichen Einnahmen für bestimmte Sparzwecke wie zum Beispiel die Altersvorsorge beiseite zu legen, sollte das tun.»
Wer den Überblick hat, der sollte am besten einen Sparplan anlegen – Prof. Weber und Becker sprechen hier von einer Selbstverpflichtung. «Das kann leichter fallen, wenn Sie sich vorstellen, was genau Sie mit dem Geld später alles machen können», rät Müller. Denn mit einem konkreten Bild im Kopf sei eine Identifikation mit dem Ziel leichter. «Das kann Ihnen wieder ein positives Gefühl geben.»
Für Oelmann und Gatzweiler gilt beim Sparen in jedem Fall das Motto: Auch Kleinvieh macht Mist. Über einen langen Zeitraum könnten auch kleine Sparbeiträgen zu einem ansehnlichen Vermögen werden. «Je eher ich anfange, desto besser», sagt Oelmann.
Literatur:
Stefanie Kühn, Markus Kühn: «Handbuch Geldanlage – Aktien, Fonds, Anleihen, Festgeld, Gold und Co.», Stiftung Warentest 2017, 416 Seiten, 34,90 Euro, ISBN-13: 978-3-86851-395-0
David Becker und Martin Weber: «Weshalb fällt das Sparen so schwer? – Wie Zeitpräferenzen Finanzentscheidungen beeinflussen», aus der Reihe «Forschung für die Praxis», Band 31 2017, Behavioral Finance Group
Fotocredits: Monique Wüstenhagen
(dpa/tmn)