Vorbild Tankstelle: Wie das Internet die Preise aufwirbelt
Düsseldorf (dpa) – Wer öfter im Internet einkauft, merkt es schnell: Viele Preise fahren Achterbahn. Online-Shops wie Amazon verändern die Preise viel, viel öfter als der Laden nebenan.
Der auf E-Commerce spezialisierte
Marktforscher Metoda zählte allein bei Amazon in Deutschland im vergangenen April über 3,4 Millionen Preisbewegungen.
Für den Kunden ist das schon heute oft verwirrend. Doch ist der Marketingexperte Martin Fassnacht von der Wirtschaftshochschule WHU überzeugt: «Die Preise im Online-Handel werden in den nächsten Jahren noch mehr in Bewegung geraten. So wie an Tankstellen oder bei Flugreisen werden sie je nach Tageszeit und Nachfrage schwanken.»
Möglich ist das nur, weil die Preise immer öfter vom Computer festgesetzt werden. Eines der Unternehmen, die sich darauf spezialisiert haben, ist der Karlsruher Big-Data-Spezialist Blue Yonder. Sein Gründer, der Physiker Michael Feindt, hat im Zuge seiner Arbeit am Europäischen Kernforschungszentrum CERN einen Algorithmus zur Auswertung großer Datenmengen entwickelt. Das Computerprogramm nutzt er heute, um Unternehmen wie den Versender Otto.de bei der Preisfestsetzung mit wissenschaftlicher Methodik unter die Arme zu greifen.
Das Urteil von Feindt über die Preispolitik vieler deutscher Einzelhändler fällt verheerend aus. «Heute wird noch viel mit dem Bauchgefühl gemacht, oder es gibt einen Preisführer wie Aldi und alle anderen versuchen, hinterher zu laufen. Doch Beides ist ziemlicher Blödsinn», meint Feindt.
Stattdessen setzt der Wissenschaftler darauf, mit Computerhilfe die im Handel vorhandenen Datenberge über die Preis- und Umsatzentwicklungen der Vergangenheit zu analysieren, um den idealen Preis für die Gegenwart zu finden. Und der kann durchaus morgens ein anderer sein als abends. Eine wichtige Rolle spielen dabei auch die Ziele des Unternehmens: Soll der Marktanteil gesteigert werden, steht ein höherer Ertrag im Vordergrund oder müssen volle Lager kassenschonend geleert werden.
Für den Kunden macht der High-Tech-Preiszauber den Einkauf nicht einfacher. Selbst wenn er weiß, was er wo kaufen will, wird die Entscheidung über den Zeitpunkt zum Glücksspiel. Zwar gibt etwa der Preisbeobachtungsdienst
Spottster einige Tipps für Verbraucher: So seien Elektronikprodukte tendenziell Dienstag etwas günstiger als an anderen Tagen, Wein dagegen sei am Donnerstag billiger, verriet das Unternehmen kürzlich dem Hessischen Rundfunk.
Doch warnt Feindt davor, zu große Hoffnungen in solche Tipps zu setzen. «Ein echt cleverer Preisfestsetzungsalgorithmus ist nicht leicht voraussehbar», betont der Experte. Sonst sei die Gefahr zu groß, das er ausgenutzt werde.
Völlig ausgeliefert ist der Kunde den Computer-Algorithmen dennoch nicht, ist Marketingexperte Fassnacht überzeugt: «Es ist das alte Spiel: Wenn sie günstigere Preise haben wollen, müssen sie sich als Kunde bei der Suche mehr Mühe geben und mehr Zeit investieren. Dann finden sie wahrscheinlich noch ein günstigeres Angebot.»
Aber auch wenn der Kunde den idealen Zeitpunkt zum Einkauf verpasst: Der Schaden dürfte sich nach Einschätzung von Preisfachmann Feindt in den meisten Fällen Grenzen halten. «Die Schwankungen sind in der Regel nicht idiotisch groß. Sie liegen vielleicht bei fünf Prozent, nicht bei 30 Prozent», betont er.
Der Handelsexperte Kai Hudetz vom Kölner Institut für Handelsforschung (IFH) dämpft ebenfalls die Sorgen angesichts der verwirrenden, neuen Preisvielfalt. Letztlich sei der Spielraum der Händler durch die hohe Preistransparenz und die zumeist geringen Gewinnmargen im Online-Handel sehr begrenzt. «Bei zu extremen Preisbewegungen nach unten oder oben drohen rote Zahlen oder die Gefahr, auf der Ware sitzen zu bleiben», meint er.
Die in Deutschland weit verbreitete Angst, dass Online-Händler Kundendaten nutzen könnten, die Preise ganz individuell nach der Zahlungsfähigkeit und -bereitschaft des einzelnen Kunden auszurichten, hält Hudetz erst recht für übertrieben. «In dem harten Wettbewerb im Online-Handel kann kein Anbieter so einfach höhere Preise diktieren, nur weil der Besteller etwa ein iPhone benutzt oder in einem besseren Viertel wohnt.»
Fotocredits: Arno Burgi