Unterlassene Hilfeleistung ist strafbar
Essen – Der Fall sorgte für Aufsehen: Ein hilfloser Rentner liegt vor einem Geldautomaten in einer Bankfiliale. Insgesamt vier Kunden lassen ihn links liegen, er stirbt später.
Die Folgen für die Passanten: Sie werden wegen unterlassener Hilfeleistung zu Geldstrafen verurteilt. Der Rentner sei ihnen einfach gleichgültig gewesen, heißt es in Urteilsbegründung.
Was genau unter unterlassener Hilfeleistung zu verstehen ist, regelt Paragraf 323c Strafgesetzbuch. Dort heißt es in Absatz eins: «Wer bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not nicht Hilfe leistet, obwohl dies erforderlich und ihm den Umständen nach zuzumuten, insbesondere ohne erhebliche eigene Gefahr und ohne Verletzung anderer wichtiger Pflichten möglich ist, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.»
Doch nicht nur das. Absatz zwei des Paragrafen besagt: «Ebenso wird bestraft, wer in diesen Situationen eine Person behindert, die einem Dritten Hilfe leistet oder leisten will.» Gemeint sind damit meist Passanten, die etwa bei einem Unfall auf der Landstraße lieber ihr Smartphone zücken, statt den Verunglückten zu helfen. «Das ist nicht nur moralisch verwerflich, die ‚Gaffer‘ machen sich auch strafbar», sagt Mathias Voigt vom Verband für bürgernahe Verkehrspolitik.
Aber es gibt auch noch andere Situationen: Ein Mann fährt mit seinem Wagen über die Autobahn und sieht im Spiegel, wie ein Pkw in Schlingerkurs über die Fahrbahn rast und gegen einen Betonpfeiler prallt. Was soll der Autofahrer tun? «Er ist mindestens verpflichtet, einen Notruf abzusetzen», sagt der Strafverteidiger Dirk Lammer. Bleibt dies aus, liegt ein Fall von unterlassener Hilfeleistung vor.
Außerdem muss er die Unfallstelle absichern: An seinem Wagen die Warnblinkanlage anstellen, ein Warndreieck aufstellen und eine Warnweste anziehen. Aber: Sich selbst muss der Helfer nicht in Gefahr bringen, erklärt Lammer.
Klar ist: Den Umständen entsprechend zu helfen auch über das Absetzen eines Notrufs hinaus, das ist Pflicht – sofern der Beobachter objektiv und subjektiv dazu in der Lage ist. Liegt etwa jemand verletzt auf der Fahrbahn der Autobahn und die Unfallstelle ist noch nicht abgesichert, muss der Beobachter die Unfallstellen absichern und den Verletzten in Sicherheit bringen. Etwas anderes ist es, wenn die Fahrbahn stark frequentiert und der Beobachter Gefahr läuft, selbst Unfallopfer zu werden.
Viele schrecken davor zurück, einem Verunglückten zu helfen, weil sie Angst haben, dabei etwas falsch zu machen und so den Gesundheitszustand des Betroffenen zu verschlimmern. Die Juristin Elke Hübner vom ADAC Nordrhein in Köln kann solche Ängste nachvollziehen. Dennoch ermuntert sie Unfallbeobachter, einem Verunglückten zur Seite zu stehen – in einem vergleichbaren Fall möchte man ja auch selbst Hilfe erfahren. «Dazu gehört etwa, einen Betroffenen in eine stabile Seitenlage zu bringen», sagt sie. Auch ohne eine medizinische Ausbildung können lebenserhaltende Maßnahmen wie eine Herz-Druck-Massage oder Mund-zu-Mund-Beatmung erfolgen.
«Das ist nie falsch, und die Befürchtung, den Betroffenen zu verletzen und dafür hinterher haftbar gemacht zu werden, ist unbegründet», so Hübner. Mitunter reicht es auch schon, einen Verunglückten bei Bewusstsein zu halten und Trost zuzusprechen – falls er ansprechbar ist. Das kann auf ihn bis zum Eintreffen der Rettungskräfte beruhigend wirken.
Aber auch in anderen Situationen ist Helfen Pflicht. Lammer nennt ein weiteres Beispiel: Ein Junge ist in den Fluss gefallen. Derjenige, der das sieht und körperlich dazu in der Lage ist, das Kind aus dem Wasser zu ziehen, muss dies tun – «ansonsten liegt unterlassene Hilfeleistung vor», so Lammer, der auch Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Strafrecht im Deutschen Anwaltverein ist. Handelt es sich dabei sogar um das eigene Kind, das im Fluss ertrinkt, und Vater und Mutter haben nicht geholfen, obwohl sie dafür alle Voraussetzungen mitbringen, dann kann gegen sie wegen Totschlags oder sogar Mordes durch Unterlassen ermittelt werden.
Auch wer in der Öffentlichkeit Raubüberfälle oder Prügeleien beobachtet, darf nicht einfach aus Angst wegschauen. «Auch das ist unterlassene Hilfeleistung, die strafrechtliche Konsequenzen haben kann», betont Voigt. In einem solchen Fall sollte zumindest die Polizei gerufen werden.
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(dpa/tmn)