Sollte man sich noch mit einem Handschlag begrüßen?
München – Bussi links, Bussi rechts: Passend zum Schauplatz des G7-Gipfels im französischen Seebad Biarritz gingen kürzlich Fotos um die Welt, auf denen US-Präsident Donald Trump Bundeskanzlerin Angela Merkel mit Wangenküsschen begrüßt.
Nicht im Fokus stand der Handschlag, der bei Trump ja bekanntlich schon mal unangenehm lange und kräftig ausfallen kann. War das schon wegweisend?
Mit dem Herbst kommt nun wieder die Erkältungssaison. Menschen scheuen sich, einander die Hand zu geben. In Krankenhäusern gilt seit langem ein Desinfektions- und Abstandsgebot. Die
Aktion Saubere Händewirbt für bessere Hände-Desinfektion in Gesundheitseinrichtungen. Und in manchen Kindergärten hängen Parolen wie «Wir begrüßen uns mit einem Lächeln» an der Wand. Kommt das Händeschütteln aus der Mode?
Regeln sind nicht mehr so starr
«Der Status quo ist: In Deutschland ist der Handschlag Standard», sagt Agnes Anna Jarosch, Vorsitzende des
Deutschen Knigge-Rats. Aber: «Die Varianz wird größer, Regeln sind nicht mehr so starr wie früher.» Wangenküsse seien beispielsweise im Kommen. Jugendlichen sei der Handschlag eh zu uncool, sie begrüßten sich Faust gegen Faust. «Das ist ein genereller Trend», so Jarosch.
Auch Imme Gerke, die interkulturelle Schulungen anbietet, verweist auf die Vielzahl an Begrüßungsformen, die es weltweit gibt: «Umarmen, Nasenkuss, mit der Stirn berühren, Hand aufs Herz legen, verbeugen – das sind alles Spielarten.»
Der Handschlag werde oft als distanziert betrachtet. In China, Japan oder Kanada entfernten sich Menschen vom Händeschütteln. Amerikaner wiederum praktizierten immer häufiger eine Zwei-Schritt-Begrüßung: Auf den Handschlag folgt eine Umarmung. Allen Menschen angeboren sei der Augengruß: ein Hochziehen der Brauen. Je mehr Annäherung es gebe, desto besser, findet Gerke.
Wie lange es den Handschlag schon gibt, ist nicht nachzuvollziehen. Schon die alten Römer und Griechen sollen ihn praktiziert haben. Eine Theorie besagt: Menschen wollen zeigen, dass sie keine Waffe in der Hand halten. Herauslesen können Experten zum Beispiel Hierarchien, Stärke oder Schwäche, Distanz oder Nähe, Nervosität oder Ruhe, Narzissmus.
Begrüßung als soziale Kompetenz
«Das Begrüßungsritual wird sich verschieben», glaubt Gerke. «Aber man sollte sich darauf einigen, dass man sich grüßt – auf welche Weise auch immer.» Das sei wichtig, um angeborene Aggressionen abzubauen. «Deswegen müssen wir unsere Kinder anhalten, dass sie sich grüßen», sagt Gerke. «Das ist auch eine soziale Kompetenz.»
Vom Hauptargument gegen den Handschlag – Hygiene – hält die Mikro- und Verhaltensbiologin nichts: «Die Angst vor Mikroben ist übertrieben. Das Immunsystem muss üben», sagt Gerke. «Ein Handschlag ist Mikrobenübertragung ohne den Vorteil der Berührung.»
Tatsächlich befinden sich unzählige Mikroorganismen auf der Hand. «Ob beim Naseputzen, beim Toilettengang, beim Streicheln eines Tieres oder bei der Zubereitung von rohem Fleisch: Die Hände kommen häufig mit Keimen in Kontakt und können diese auf alles übertragen, das anschließend angefasst wird», schreibt die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. Gründliches Händewaschen mit Wasser und Seife senke die Häufigkeit von Infektionskrankheiten nachweislich – das Risiko von Durchfallerkrankungen etwa könne fast halbiert werden.
Bei Erkältung nicht die Hand geben
Die gute Nachricht aus Knigge-Sicht: «Wenn man weiß, dass man gerade eine Virenschleuder ist, dann sollte man sagen: Ich gebe euch heute nicht die Hand», sagt Umgangsformen-Fachfrau Jarosch. Und ganz allgemein gelte eine goldene Regel: «Bis fünf Personen reicht man die Hand. Ist die Gruppe größer, reicht ein «Grüß Gott» in die Runde.»
An kontaminierten Händen dürfte es eigentlich nicht liegen, sollte der Handschlag bald passé sein. Die Drogeriemarktkette dm etwa verzeichnet laut Sebastian Bayer, dem Geschäftsführer für Marketing und Beschaffung, ein stabiles Wachstum bei Hand-Desinfektionsmitteln.
Die Firma B. Braun Melsungen, die unter anderem Kliniken beliefert, berichtet von einer Entwicklung von plus 5 bis 7,5 Prozent beim Verbrauch von Händedesinfektionsmittel. Dazu heißt es: «Da die korrekte Ausführung der Händehygiene Patient, Angehörige und das medizinische Personal schützt, ist dies eine erfreuliche Entwicklung, die es weiter zu unterstützen gilt.»
Fotocredits: Uwe Anspach
(dpa)