Musterklagen bringen Verbrauchern bessere Chancen
Berlin – Bisher glichen Rechtsstreitigkeiten von Verbraucher gegen Firmen oft einem Kampf zwischen David und Goliath. Die Musterfeststellungsklage soll das ändern. Fragen und Antworten zum Verfahren, mit dem Verbraucher ohne eigenen Anwalt und mit wenig Aufwand zu ihrem Recht kommen können.
Wie funktioniert das Verfahren?
Die Idee geht so: Ein Verbraucherverband zieht stellvertretend für viele Bürger vor Gericht, die sich von einem Unternehmen in einer bestimmten Sache geschädigt fühlen. Beispiel ist die aktuelle Diesel-Klage gegen VW. Verbraucher, die sich einer solchen Eine-für-alle-Klage anschließen wollen, tragen sich in ein Klageregister ein. Das wird beim
Bundesamt für Justiz geführt.
Welche Vorteile bringt die Musterklage Verbrauchern?
Bisher war es schwierig, bei Masseschäden Ansprüche gegen Unternehmen zu erstreiten, «weil die Gerichte selbst bei vielen Betroffenen über jeden Fall einzeln zu entscheiden und den Schaden individuell zu berechnen haben», sagt der Frankfurter Anwalt Michael Weigel, Vorsitzender des Ausschusses Zivilprozessordnung der Bundesrechtsanwaltskammer.
Dieses Problem behebt die neue Regelung teilweise: Ein Gericht entscheidet über die Streitpunkte, die für alle relevant sind, andere Gerichte sind daran gebunden. Damit, so die Erwartung, kommen Verbraucher schneller an Schadenersatz oder ans Ende von Vertragsstreitereien. Die Teilnahme an einer Musterklage kostet Verbraucher kein Geld.
Gibt es Nachteile?
Größter Nachteil: «Wer Kohle will, muss nach dem Urteil aus der Sammelklage erst wieder individuell klagen, falls es zu keiner Einigung kommt», sagt Weigel. Das zahlt jeder Verbraucher für sich aus eigener Tasche. In dem Folgeprozess orientieren die Gerichte sich dann an dem Urteil aus dem Musterverfahren.
Die Verbraucherzentralen erwarten jedoch, dass Unternehmen Sammelurteile lieber gleich akzeptieren und zahlen. Bei einem Vergleich fließt Geld, sobald 70 Prozent der Kläger zugestimmt haben. Ein individueller Prozess ist dann überflüssig.
In welchen Bereichen sind Klagen möglich?
«Die Klagen sind auf keine Rechtsfelder beschränkt», sagt Sebastian Reiling, Referent Musterfeststellungsklagen der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) in Berlin. Denkbar sind Themen aus fast allen Lebensbereichen: Versicherungs-, Bank-, Handy oder Mietverträge sowie undurchsichtige Geschäftsbedingungen, problematische Medikamente, defekte Produkte, zusammenbrechende Selbstbaumöbel, Reisen. Behörden wie Finanzamt, Bauamt und Polizei können nicht verklagt werden, wohl aber Energieversorger und Verkehrsbetriebe.
Wann kann ein Verband vor Gericht ziehen?
Drei Voraussetzungen sind wichtig: Erstens müssen mindestens zehn Verbraucher betroffen sein. Zweitens kommt es auf den gleichen Sachverhalt an. «Der gleiche Typ Bücherregal, der gleiche Typ Auto, das gleiche Medikament, das gleiche havarierte Schiff, auf dem die Verbraucher zur gleichen Zeit Urlaub gemacht haben», zählt Weigel auf. Und drittens: «Mindestens 50 Verbraucher melden sich innerhalb von zwei Monaten nach Bekanntgabe der Musterfeststellungsklage im Klageregister an.» Ohne Erreichen dieser Zahl platzt die Klage.
Klagen einreichen dürfen neben den
Verbraucherzentralen unter anderem ADAC, Nabu, Bauherren-Schutzbund, Verband privater Bauherren, Pro Bahn, Foodwatch, Bund der Versicherten und Bundesverband Selbsthilfe Körperbehinderter.
Wie machen Verbraucher bei der Klage mit?
Teilnehmer melden sich über eine Internetseite des BfJ zum Klageregister an. Die Behörde schaltet dazu nach eigenen Angaben ein Online-Formular frei. Per Mail, Fax oder Brief geht es auch. Erforderlich sind neben Name und Anschrift unter anderem das Aktenzeichen, die Angabe des verklagten Unternehmens und der Anspruchsgrund. Die Anmeldung ist bis zum Ende des Vortags des ersten Gerichtstermins möglich. Wer aus der Klage wieder raus will, kann das bis zum Ende des ersten Prozesstags tun, indem er sich aus dem Klageregister abmeldet.
Literatur:
Timo Gansel, Andreas Gängel: Erste Hilfe zur Musterfeststellungsklage. Rechtzeitig Ansprüche anmelden und durchsetzen. München, 2018, Beck Verlag, 5,50 Euro, ISBN-13: 978 3 406 73307 9
Fotocredits: Robert Günther
(dpa/tmn)