Kann man an die Evolutionstheorie „glauben“?
Rund 30 Prozent aller US-Amerikaner lehnen die Evolutionslehre nach Darwin ab. Das ist, spätestens seit Dawkins‘ „Gotteswahn“, hinlänglich bekannt. Vor Kurzem berichtete die „Welt“, dass der Kreationismus auch in Deutschland Anhänger hat: Immerhin 10-12 Prozent der Bundesbürger, schrieb das Blatt, würden nicht an die Evolution „glauben“. Die Zeitung beruft sich auf Hansjörg Henninger, einen „Weltanschauungsexperten“ der Evangelischen Landeskirche in Württemberg. Es mutet schon paradox an, dass man einen Mann in Diensten der Kirche zu dem Thema heranzieht – schlimmer aber ist der Lapsus, der den Redakteuren offenbar unbewusst passiert: Sie sprechen vom „Glauben“ an die Evolutionstheorie, als sei die Frage, ob man Darwins Thesen akzeptiert, religiöser Natur, so wie die Frage nach Himmel, Hölle, Engeln und Auferstehung.
Das ist sie definitiv nicht. Darwins Erkenntnisse sind wissenschaftlich fundiert. Nun ist die Evolution zweifellos kompliziert, und man kann nicht von jedermann erwarten, mit ihr vertraut zu sein. Umso gefährlicher ist eine nachlässige Wortwahl. Für jemanden, der sich mit Darwin nicht gerade eingehend beschäftigt hat, stellen die Redakteure die Evolutionslehre durch das Verb „glauben“ dar, als sei sie eine Sache der persönlichen Auslegung. Und bereiten damit, langfristig, Kreationisten einen furchtbaren Nährboden.
Ich will die Absichten der Redakteure nicht infrage stellen. Ihr Artikel, im Übrigen anlässlich der Eröffnung eines „Schöpfungsmuseums“ in den USA, ist polemisch und hält von derlei fundamentalistischem Bibelverständnis offensichtlich nichts. Aber möglicherweise richten sie mit dem kleinen Wort mehr Schaden an, als sie zu verhindern suchten.