Innovative Städte holen in der Gunst der Radler auf
Berlin – Das Rennen um die fahrradfreundlichste Stadt in Deutschland ist knapp ausgegangen: Titelverteidiger Münster hat seinen ersten Platz unter den Großstädten verteidigt.
Es folgen Karlsruhe und Freiburg in Baden-Württemberg. Zum siebten Mal bringt der
Fahrradklima-Test, den das Bundesverkehrsministerium jetzt präsentierte, Bewegung in die Diskussion um Mobilität in Städten.
Dass sie ein großes Thema ist, zeigt schon eine Rekordbeteiligung: Noch nie hat der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club (ADFC) so viele Fragebögen zurückbekommen: 120 000 Menschen aus 539 Städten werteten, was sie als Stärken und Schwächen für den Radverkehr sehen.
Was alles schief laufen kann, zeigt die Hauptstadt Berlin jeden Tag: Wüstes Gehupe zeugt davon, dass Radler sich die Straßen erobern – nicht immer nach den Regeln. Wenn schmale Radwege nicht ohnehin zugeparkt sind, staut es sich dort in der Rushhour. Und um manche Bürohäuser herrscht hartnäckiger Parkplatzsuchverkehr – auf zwei Rädern. Die traurige Bilanz für viele Unzulänglichkeiten waren im vergangenen Jahr 19 tote Radfahrer allein in Berlin, so viele wie seit zehn Jahren nicht mehr.
Erst im April einigte sich der rot-rot-grüne Senat auf Eckpunkte für ein Fahrradgesetz. Das kommt zu spät für den Fahrradklima-Test, in dem die Berliner ihrer Stadt bei der Befragung im Herbst ein mieses Zeugnis ausstellten: Schulnote 4,3 – das ist der drittletzte Platz unter den 39 Großstädten. «Berlin ist Entwicklungsland», kommentiert ADFC-Sprecherin Stephanie Krone. «Das geht hier alles viel zu langsam.»
Auf Münster lässt Bürgermeister Gerhard Joksch dagegen nichts kommen. «Ohne Rad können wir nicht», sagte er stolz bei der Siegerehrung. 40 Prozent Radverkehr habe Münster, 6000 neue Abstellplätze kämen gerade am Bahnhof hinzu. «Und das wird immer noch nicht reichen», ergänzte Joksch.
Das sieht auch der ADFC so, der Münsters Stern trotz der Spitzenposition in der Gunst der Radler sinken sieht. Zwar war die Studentenstadt in den 1970er und 80er Jahren mit ihrem Radweg-Konzept vielen anderen Kommunen voraus. Doch inzwischen sei die Infrastruktur unterdimensioniert und die Unfallzahlen stiegen, sagt ADFC-Sprecherin Krone.
Was heute angesagt ist, demonstriert zum Beispiel Göttingen. Ein breiter Radschnellweg, perfekt asphaltiert und mit markanten blauen Markierungen, durchzieht nun das Zentrum. Wuppertal, mit vielen steilen Hügeln und Hauptstraßen nicht gerade ein Fahrradparadies, glänzt nun mit der Nordbahntrasse, auf der einst die Eisenbahn rollte. Wesel baute Radfahrern eine eigene Fähre.
«Etwas zu verändern, bedeutet auch, Autofahrern wehzutun», sagt Göttingens Stadtbaurat Thomas Dienberg. Denn der Verkehrsraum wird nicht nur gefühlt knapper. Auf Deutschlands Straßen rollen bereits mehr als 60 Millionen Kraftfahrzeuge, 1,5 Millionen mehr als vor zehn Jahren. Dazu kommt nun – umweltpolitisch gewollt – ein immer weiter wachsender Anteil an Radlern. Und der Bund finanziert Radschnellwege mit, die Städte verbinden.
Autofahrer merkten, dass ihnen weniger Platz bleibe, konstatiert der Deutsche Verkehrssicherheitsrat. Hupen, Drängeln, Drohen – bereits im vergangenen Jahr empfand die Hälfte der Bundesbürger laut einer Umfrage das Klima auf Deutschlands Straßen als aggressiver als früher. Ein reines Propagieren des Radelns reicht aus Sicht des ADFC deshalb nicht aus.
«In München empfinden die Menschen solche Kampagnen als unehrlich, weil sie die Straßen weder als sicher noch als komfortabel für Radfahrer ansehen», berichtet ADFC-Sprecherin Stephanie Krone. Um wirklich etwas voranzubringen, bedürfe es eines großen Konsenses der Parteien einer Stadt und vor allem eines guten Plans. Dafür steht zum Beispiel Karlsruhe, das zuerst sein Tram-Netz auf Vordermann brachte, dann die Rad-Infrastruktur verbesserte und sich nun den Fußgängern zuwenden will.
Was Radfahrern selbst am wichtigsten ist, zeigt der neue Test auch. Die meisten wünschen sich vor allem ein gutes Sicherheitsgefühl beim Fahren, breite Radwege sowie schnelle, direkte Verbindungen ins Zentrum. Wenn der Laster dagegen zehn Zentimeter entfernt rollt, Radwege immer wieder von Straßen oder Bürgersteigen unterbrochen werden und der teure Drahtesel mangels sicherer Abstellplätze gleich wieder geklaut wird, führt das zu Stress – und Minuspunkten im Fahrradklima-Test.
Fotocredits: Oliver Berg
(dpa)