Die Olympiade der Unvernunft
Von erloschenen Fackeln und entflammten Demonstranten
Der Skandal um den olympischen Fackellauf wird leider viel ernster genommen, als angemessen wäre. Denn die Motivation der vermeintlichen Menschenrechtsaktivisten, die zurzeit auf sämtlichen Erdteilen gegen die olympischen Sommerspiele in China protestieren, ist vermutlich weit weniger reflektiert, als dem Anlass angemessen wäre.
Was ist mit den Basken? Wer kümmert sich um Nordirland?
Die „Free Tibet“-Parolen entlarven ein naives Weltbürgertum, das allen Ernstes meint, man könne den autarken Riesen China mittels einiger Proteste irgendwo am anderen Ende der Welt zum Einlenken zwingen. Von wegen: In den chinesischen Medien tauchen die Proteste rund um den Fackellauf einfach nicht auf. Welchen Zweck erfüllen sie dann? Vielleicht diesen: Die westliche Wohlstandsgesellschaft tut mal wieder etwas für ihre schwer angeschlagenes Gewissen – wenigstens für das Land, dessen religiöses Oberhaupt in unseren Breiten so umfassende Sympathien geniesst. (Und das obwohl, wie die „taz“ konsequent bemerkte, der Staat des Dalai Lama selbstverständlich eine Theokratie wäre; also durchaus nichts, wofür der sogenannte Westen sonst gerne eintritt.) Und, davon abgesehen: Was ist mit all den anderen Ländern und Regionen auf der Welt, die seit Jahren – Jahrzehnten – um ihre Unabhängigkeit kämpfen?
Die unglaubliche Popularität des Dalai Lama in der westlichen Welt ist für Tibet Fluch und Segen zugleich. Einerseits mag er, der beständige Friedensmahner, entscheidend dazu beigetragen haben, dass der Tibetkonflikt nur selten in Gewalt ausgeartet ist – ohne seine Intervention wären aus Separatisten vermutlich längst Terroristen geworden. Andererseits provoziert seine ständige Gegenwärtigkeit in den westlichen Medien nun eine Reaktion in Europa und Amerika, die realpolitisch desaströs sein könnte.
Manchmal wäre ein bisschen weniger Emotion und ein wenig mehr Vernunft von Vorteil.