Die Luft für Lebensversicherungen wird wieder dünner
Frankfurt/Main – Es geht wieder abwärts. Zahlreiche Kunden klassischer Lebens- und Rentenversicherungen müssen sich nach einer kurzen Atempause wohl erneut auf sinkende Zinsen einstellen.
«Das Niedrigzinsumfeld schmerzt extrem. Die Zinsen am Kapitalmarkt sind zuletzt noch einmal gesunken. Das Thema verfestigt sich immer mehr», beschreibt der Geschäftsführer der Rating-Agentur
Assekurata, Reiner Will, die Lage. Er geht davon aus, dass die laufende Verzinsung des Altersvorsorgeklassikers im kommenden Jahr im Schnitt auf etwa 2,30 Prozent sinkt, nach durchschnittlich berechneten 2,46 Prozent 2019.
Kunden mit alten Verträgen bekommen vielfach aber eine höhere Rendite, da sie teilweise noch von Zinsgarantien von bis zu 4 Prozent profitieren. Den
Unternehmen fällt es jedoch immer schwerer, die hohen Versprechen der Vergangenheit in der Zinsflaute an den Kapitalmärkten zu erwirtschaften.
Die ersten der mehr als 80 Lebensversicherer haben ihre Daten für 2020 veröffentlicht. Gute Nachrichten kommen beispielsweise von
Axa und der
Ideal Lebensversicherung, die die laufende Verzinsung stabil halten. Die Alte Leipziger und die Nürnberger Leben senken die Verzinsung dagegen.
Versicherungsmathematiker Henning Kühl erwartet in der Breite keinen starken Rückgang: «Bei der Verzinsung sind die Gestaltungsmöglichkeiten weitgehend ausgeschöpft», argumentiert der Chefversicherungsmathematiker von Policen Direkt. Der Spielraum nach unten sei bei den meisten Anbietern wegen der Garantien in den bestehenden Verträgen eng begrenzt.
Policen Direkt kauft bestehende Lebensversicherungsverträge von Kunden auf und führt sie bis zum Ablauf weiter.
Versicherer stellen seit 2011 Geld zurück
Die laufende Verzinsung setzt sich aus dem Garantiezins und der Überschussbeteiligung zusammen. Über die Höhe der Überschussbeteiligung entscheiden die Versicherer je nach Wirtschaftslage und Erfolg ihrer Anlagestrategie jedes Jahr neu.
Hinzu kommt der Garantiezins, der nach einer Festlegung des Bundesfinanzministeriums seit Anfang 2017 für Neuverträge bei mageren 0,9 Prozent liegt. Bei Altverträgen sind es noch bis zu 4 Prozent. Diese müssen die Unternehmen auch in der Zinsflaute erfüllen. Die laufende Verzinsung bezieht sich nur auf den Sparanteil, den der Versicherer nach Abzug von Abschluss- und Verwaltungskosten sowie dem Beitrag für einen Todesfallschutz anlegt.
Um die hohen Versprechen der Altverträge abzusichern, müssen die Versicherer seit 2011 Geld zurückstellen. Dieses Geld kann nicht an die Kunden ausgeschüttet werden. Der Kapitalpuffer – im Fachjargon Zinszusatzreserve genannt – wird inzwischen zwar langsamer aufgebaut als zu Beginn.
Assekurata-Geschäftsführer Will zufolge hat das gesunkene Zinsniveau einen Teil der Entlastung jedoch zunichte gemacht. «Wir gehen inzwischen davon aus, dass die Versicherer in diesem Jahr etwa 9 Milliarden Euro für die Zinszusatzreserve aufwenden müssen.» Ursprünglich hatte Assekurata mit 6 bis 7 Milliarden gerechnet. «Die Zusatzbelastung drückt auf die Fähigkeit, Rendite an die Kunden auszuschütten.»
Im Vergleich zu anderen Geldanlagen sei die Verzinsung aber immer noch recht gut, argumentiert Will. «Für neue Lebens- und Rentenversicherungsverträge ist die Zins-Perspektive allerdings schwieriger.»
Viele Assekuranzen bieten in der Zinsflaute ohnehin keine Produkte mit klassischem Garantiezins mehr an. Sie setzen im Neugeschäft auf Verträge, die lediglich den Erhalt der eingezahlten Beiträge ganz oder teilweise zusagen. Dafür sollen sie eine etwas höhere Rendite abwerfen.
Mit wachsender Sorge beobachtet die Finanzaufsicht
Bafin die Lage der Assekuranzen. «Die Situation der Lebensversicherer und Pensionskassen erfordert, dass wir unsere Kontrolle verstärken», sagte der Chef der Versicherungsaufsicht, Frank Grund, kürzlich. Die jüngste Zinssenkung im Euroraum habe die Herausforderung für die Versicherer noch einmal vergrößert.
Die Europäische Zentralbank hatte im Kampf gegen Konjunkturschwäche und niedrige Inflation ihre ultralockere Geldpolitik im September nochmals verschärft. Dazu zählen höhere Strafzinsen (negativer Einlagenzins) für Banken, frische Milliarden für Anleihenkäufe und ein auf unbestimmte Zeit zementiertes Zinstief.
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(dpa)