Der Pandemie kann man nicht entkommen
Berlin – Wann beginnen Wirtschaftskrisen? Kaum eine theoretische Frage lässt sich derzeit so gut in der Praxis beobachten wie diese. Weltweit kennen die Menschen nur noch ein Thema – den Kampf gegen das Coronavirus.
«Es ist bemerkenswert, wie sehr Menschen sich auf ein einziges Thema konzentrieren können, und dabei fast alles andere ausblenden», sagt Robert Shiller, Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Yale Universität, im Interview mit dem dpa-Themendienst.
In seinem neuen Buch beschreibt der Nobelpreisträger die Bedeutung von Geschichten aus ökonomischer Sicht. Seine These: Manche Geschichten verbreiten sich wie Epidemien und haben einen Einfluss damit auch auf die Entwicklung der Wirtschaft.
Ist die derzeitige Situation der perfekte Beweis für ihre Theorie?
Robert Shiller: Ich wünschte, ich hätte meine Theorie so nicht beweisen müssen. Das ist ein Alptraum. Und wir haben noch nicht mal alles gesehen. Es sieht wirklich schlecht aus.
Welchen Einfluss wird diese Geschichte auf die Wirtschaft haben?
Shiller: Auf der einen Seite gibt es einen Schub, weil die Leute Lebensmittel kaufen und sich mit Toilettenpapier eindecken. Auf der anderen Seite gibt es einen negativen Nettoeffekt, weil wir gerade alles verschieben. Niemand will mehr rausgehen. Das führt zu einer wirtschaftlichen Krise, auch weil Menschen kein Einkommen mehr haben. Sie haben sowohl Angst vor dem Virus als auch Angst davor, nicht mehr für ihre Familie aufkommen zu könne. Es ist eine schlechte Zeit.
Wo wird uns das Ganze hinführen? Wie lange wird das dauern?
Shiller: Es wird nicht in ein paar Wochen vorbei sein. Das war ja die Hoffnung. Es ist ein wenig wie 1918, als der Grippevirus die Aufmerksamkeit der Welt auf sich zog. Diese Angst wird vermutlich Jahre anhalten. Das neue Virus ist ja immer noch da draußen. Wenn wir es jetzt schaffen, die Menschen in ihren Aktivitäten zu beschneiden, kann es ja wiederkommen, wenn alle dann wieder rauskommen.
Ist das also der Beginn einer weltweiten Rezession?
Shiller: Ja, das kann gut sein. Vermutlich sind wir schon drin. Ich denke, das wird für die offiziellen Stellen noch eine Weile dauern, bis sie das auch in den Zahlen sehen.
Was können wir dagegen tun?
Shiller: Den Notenbanken geht schon die Munition aus. Die USA haben sich jetzt auch den anderen Staaten angeschlossen und die Zinsen auf nahezu Null gesenkt. Sie können sogar ins Negative rutschen. Auch die expansive Geldpolitik wird keinen großen Unterschied machen, weil die langfristigen Zinsen schon so niedrig sind. Das fundamentalste Problem ist: Es gibt diese Epidemie und der kann man kaum entkommen.
Meinen Sie, in dieser Krise steckt auch etwas Gutes?
Shiller: Das ist ein guter Gedanke, aber ich weiß nicht, ob ich eine gute Antwort habe. Die Krise bringt die Menschen in ihren Nachbarschaften vielleicht näher zusammen. Wenn ich in meiner Wohngegend Menschen begegne, halten wir zwar alle Abstand, aber es gibt ein Gefühl der Kameradschaft untereinander. Das führt vielleicht zu einer weniger ungleichen Gesellschaft. Das könnte ein positiver Effekt sein.
Was bedeutet die Krise für die Börsen?
Shiller: Es ist eine gefährliche Zeit. Mehr Menschen könnten sich entscheiden, zu verkaufen. Es sieht ein wenig so aus wie 1929. Der Crash war damals nicht nach einem Jahr vorbei. Er ging bis 1932. Das ist nicht alles an einem Tag passiert. Aber die Börse hat damals 80 Prozent an Wert verloren. Das war riesig.
Wir haben aber heute eine andere Situation. Diesmal sieht es wie ein reeller Schock aus. Damals gab es nichts, das die Wirtschaft traf. Diesmal gibt es etwas Konkretes. Also ich vermute, wir werden uns diesmal auch schneller erholen. Das Schönste wäre, wenn das warme Wetter hilft die Verbreitung des Virus zu verlangsamen. Dann könnten wir schneller wieder in die Spur kommen und die Konsequenzen wären nicht ganz so hart.
Sie haben gesagt, dass wir den Boden noch nicht erreicht haben. Kann man überhaupt irgendwelche Vorhersagen wagen?
Shiller: Die Börsen könnten noch weiter fallen, aber das kann man nicht vorhersagen. Es ist ein lustiges Spiel, das wir an den Börsen spielen. Wir versuchen, die Absichten der anderen zu erkennen bevor sie handeln. Die Börsen sind tief gefallen und aufgrund der Erfahrungen aus der Vergangenheit sollten sie sich wieder erholen. Die Frage ist: Ist die psychologische Situation komplett anders jetzt?
In gewisser Weise ist das ein neues Phänomen. Ich kann mich nicht erinnern, jemals gesehen zu haben, dass Lebensmittelläden weltweit ausverkauft waren wie jetzt. Aber vielleicht ist das auch nur ein vorübergehendes Phänomen. Ich weiß es nur nicht.
Was man hier gut sehen kann: Die Kraft der Narrative legt den Fokus auf Details. Was ist, wenn das Toilettenpapier ausgeht? (lacht) Die Leute glauben, dass alle dieses Problem bekommen werden. Dieses Narrativ war aus irgendeinem Grund überall sehr ansteckend.
Was sollen Anleger denn jetzt tun?`
Shiller: Das hängt davon ab, in welcher Situation sie sind. Wer übermäßig viel in Aktien investiert hat, könnte jetzt überlegen diesen Anteil zu reduzieren. Es gibt aber derzeit keine generellen Ratschläge. Es ist eine sehr riskante Zeit.
Wer seine Rente zum Beispiel aus seinen Aktienerträgen finanziert, wird sich das vielleicht überlegen. Ich weiß, es ist schmerzhaft jetzt zu verkaufen, nachdem man die Chance dazu in den vergangenen Tagen verpasst hat. Es gibt für die meisten Anleger keinen klaren Ratschlag.
Ein Narrativ ist: Aktien zahlen sich über einen langen Zeitraum aus. Glauben Sie, dass dies auch heute noch stimmt?
Shiller: Das wissen wir nicht sicher. Aber es gibt gute Chancen, dass das so sein wird. Wenn Ihre Rente noch 20 Jahre entfernt ist, ist es nicht unwahrscheinlich, dass das so sein wird.
Literatur:
Robert Shiller: Narative Wirtschaft, Plassen Verlag, 480 Seiten, 29,90 Euro, ISBN 978-3-86470-666-0
Fotocredits: Arne Dedert,Michael Marsland
(dpa/tmn)