Obama im Aufwind
Die Qual der Wahl
Manch ein US-Amerikaner befindet sich zurzeit in einem bizarren Dilemma: „Change“ ist angesagt – und vermutlich das im Wahlkampf meistbemühte Schlagwort. Aber, wieviel? Wieviel Wandel braucht Amerika nach acht Jahren Bush? Mal ganz davon abgesehen, dass diese Frage etwas einseitig ist – zwar hat Bush weniges dazu getan, die Probleme im Nahen Osten zu lösen, aber ihr Hauptverursacher ist er eigentlich nicht -, sind die Amerikaner ziemlich uneins: Die republikanischen Wähler favorisieren John McCain, einen harten, direkten Vietnam-Veteran, der seiner eigenen Partei eigentlich suspekt ist. Aber möglicherweise ist gerade das – seine scharfen Kanten in jeder Hinsicht – der ausschlaggebende Faktor. Noch schlimmer geht’s den Demokraten, die sich zwischen zwei Kandidaten regelrecht zu zerreißen drohen: Barack Obama auf der einen Seite, Hillary Clinton auf der anderen. Die Demokraten hatten gehofft, der „Super-Tuesday“ würde einen klaren Favoriten produzieren – er tat es nicht. Der Wahlkampf geht unverdrossen weiter; er hat sich im Ton sogar eher noch verschärft. Jetzt heisst es erst recht Obama vs. Clinton.
Am Wochenende konnte Obama einen Überraschungssieg in vier Staaten verbuchen, die eigentlich als Clinton-Terrain galten, und besitzt jetzt einen hauchdünnen Vorsprung vor der ursrpünglich als Favoritin gehandelten Senatorin aus New York. Hillary Clinton wird nicht müde, ihren Pragmatismus hochzuloben (und erhält Unterstützung unter anderem von der „New York Times“); sie betont, wie hervorragend sie sich zur obersten Befehlshaberin eignet. Obama dagegen steht der Sinn nach change, so grundsätzlich, dass er sich teilweise nicht mit den Marginalien der Alltagspolitik beschäftigen zu wollen scheint – dennoch fliegen ihm die Wählerstimmen zu. Vielleicht: gerade deshalb. Denn an den aktuell erfolgreichsten Kandidaten beider Seiten – Obama und McCain – zeigt sich ein ausgeprägtes Misstrauen der Wähler gegenüber dem alteingesessenen amerikanischen Parteiapparat. Opponiert wird nicht nur gegen Krieg, Bush, Missbildung und Umweltverschmutzung – es wird ein etwas eingerostetes, zwar funktionstüchtiges, aber völlig innovationsloses System bekämpft; ein System, das in amerikanischen Medien nur noch mit „Washington“ bezeichnet wird. „Washington“, das ist ein biederer, teils unehrlicher Politik-Apparat. Und Hillary Clinton – die zu Beginn des Wahlkampfes gerne auf ihre politische Karriere verwies – ist ein mustergültiger Zögling dieses Apparats. Es ist also beides: Die „Washington“-Verdrossenheit der Amerikaner, und der (wie der „Spiegel“ diese Woche titelt) „Messias-Faktor“ Barack Obamas, der dem jungen Senator aus Illinois den Weg ins Weiße Haus ebnen könnte.