Einzig nützliche Innovation? 50 Jahre Geldautomat
London – Für viele Verbraucher ist er heute der alleinige Kontakt zu ihrer Bank: der Geldautomat. Im Grunde sei die Maschine die einzige nützliche Innovation, die die Finanzbranche über Jahrzehnte zustande gebracht habe, urteilte 2009 der ehemalige Chef der US-Notenbank-Fed, Paul Volcker.
Der Geldautomat ist aus dem Alltag von Millionen Menschen nicht mehr wegzudenken. Allein in Deutschland können sich Verbraucher an etwa 60 000 solcher Maschinen rund um die Uhr in Sekundenschnelle mit Bargeld versorgen. Die Erfindung ist gerade einmal 50 Jahre alt: Den ersten Geldautomaten nahm die britische Großbank
Barclays am 27. Juni 1967 in ihrer Filiale in Enfield nördlich von London in Betrieb.
Die Idee dazu kam dem Schotten
John Shepherd-Barron (1925-2010) an einem Samstag im Frühjahr 1965 in der Badewanne, wie er 2007 dem Sender BBC schilderte. An dem Tag war ihm das Bargeld ausgegangen – er hatte die Öffnungszeiten seiner Bankfiliale um wenige Minuten verpasst und stand vor verschlossenen Türen. Shepherd-Barron, Manager in einer Firma, die auch Banknoten druckte, kam ins Grübeln: Warum gibt es eigentlich Automaten, aus denen man Schokoriegel ziehen kann, aber kein Gerät, das Bargeld herausgibt?
Shepherd-Barron erdachte einen Automaten, der Schecks prüfen und entwerten konnte und im Gegenzug Bargeld ausspuckte. Er stellte seine Idee der Großbank Barclays vor – die sofort zugriff. Der Schotte entwickelte sechs ATM-Bankautomaten (Automated Teller Machine), der erste wurde im Juni 1967 in Enfield in Betrieb genommen. Als erster durfte dort der Schauspieler Reg Varney zehn Pfund ziehen – mehr gab der Automat nicht heraus. «Aber das reichte damals für ein wildes Wochenende», erklärte Erfinder Shepherd-Barron in dem BBC-Interview.
Schon zuvor hatte es erfolglose Versuche mit Bankautomaten in anderen Ländern gegeben. Staunend beobachtete nun der schottische Erfinder bei einem Urlaub in Nordthailand, wie ein Mann mit einem Ochsenkarren vor einem ATM-Automaten vorfuhr und Geld abhob: «Das war der erste Beweis für mich, dass wir die Welt verändert hatten.»
Ein Massenphänomen waren die ungewohnten Maschinen, die nun anstelle des Kassierers am Bankschalter Geld auszahlten, zunächst freilich nicht. Als in Deutschland die Kreissparkasse Tübingen am 27. Mai 1968 den bundesweit ersten Geldautomaten aufstellte, konnten diesen nur 1000 ausgewählte Kunden nutzen. Sie durften bis zu 400 D-Mark abheben, brauchten dafür aber ein ganzes Bündel an Ausrüstung: einen Spezialschlüssel für den Tresor, eine Identifikationskarte aus Plastik und Auszahlungsbelege in Form von Lochkarten.
EC-Karten mit Magnetstreifen gab es noch nicht. In Shepherd-Barrons Automaten mussten Kunden einen mit einer leicht radioaktiven Substanz imprägnierten Scheck schieben. War das nicht gefährlich? Nein, meinte der Erfinder: Er habe berechnet, dass man 136 000 dieser Schecks essen müsse, bevor deren Radioaktivität krank mache.
Eigentlich sollten die Schecks eine sechsstellige Geheimnummer (PIN) zur Identifizierung haben, erinnerte sich Shepherd-Barron: «Aber meine Frau sagte über den Küchentisch hinweg, sie könne sich nur vier Ziffern merken. Ihretwegen wurden also die vier Ziffern der Weltstandard.» Und sind es bis heute.
Sonst haben moderne Geldautomaten mit ihren Vorgängern wenig gemein. Ein entscheidender Unterschied: Den Geräten der ersten Generation fehlte die Verbindung zu einem Zentralcomputer, um Informationen abzugleichen. Jeder Geldautomat war gewissermaßen eine Insel.
Neuland betrat 1978 die Kreissparkasse Köln, die einen der ersten Automaten in Deutschland installierte, der am Banknetz hing. Einziges Manko, wie der Automatenhersteller – die heutige Wincor Nixdorf – 2003 einräumte: «Der Geldcomputer war in der Bank selbst installiert und damit nur während der Schalteröffnungszeiten zugänglich. Den Kunden erschloss sich die Nutzung deshalb nur zögernd.»
Der Durchbruch in Deutschland kam, als die Automaten wie schon in Spanien und Schweden im Foyer sowie im Außenbereich der Banken installiert wurden und damit rund um die Uhr nutzbar waren. In einer im Juni 2002 veröffentlichten Allensbach-Umfrage erklärten 72 Prozent der Deutschen den Geldautomaten zur beliebtesten technischen Alltagsneuerung («Den kann ich gut gebrauchen») – weit vor Mikrowelle (59 Prozent), Handy (58 Prozent) und Computer (56 Prozent)
Shepherd-Barron, der sich auch mit Schneckenzucht und Walrufen beschäftigte, starb im Mai 2010 mit fast 85 Jahren. Sein erster Bankautomat in Enfield ist längst abgebaut, nur eine Plakette erinnert noch daran. Reich wurde der Schotte mit seiner Erfindung nicht – er hatte sie sich nie patentieren lassen.
In einem Punkt irrte der clevere Schotte: Shepherd-Barron erwartete, dass es heute überhaupt kein Bargeld mehr geben würde. Tatsächlich gibt es in Deutschland inzwischen sogar Drive-in-Geldautomaten, an denen Autofahrer Geld abheben können, ohne auszusteigen.
Fotocredits: Tobias Kleinschmidt
(dpa)