Motorräder sind wieder angesagt
Berlin – Es gab eine Zeit, da war Motorradfahren schwer in Mode. Tom Cruise raste in «Top Gun» mit einer Kawasaki über das Flugfeld, Arnold Schwarzenegger verfolgte seine Gegner als Terminator auf der Harley-Davidson. Das ist schon ein paar Jahre her.
Rund um das Jahr 2000 war die Zahl der Neuzulassungen von Krafträdern in Deutschland mit mehr als 250 000 Neuzulassungen pro Jahr auf Rekordhoch – um danach rasant abzufallen. Im Jahr 2017 sieht es wieder anders aus. Jetzt, zu den ersten Sonnentagen, sind Biker sehr oft auf der Straße zu sehen. Freiheit, Lifestyle, Coolness – ist Motorradfahren wieder angesagt?
«Das Motorradfahren ist in ganz vielen Bereichen der Gesellschaft wieder angekommen – vor allem in den letzten Jahren», sagt einer, dessen Job die Lobbyarbeit für das motorisierte Zweirad ist. Reiner Brendicke ist Chef des
Industrieverbandes Motorrad. Er sieht diesen Trend nicht nur auf Straßen, sondern auch in Mode und Werbung. Das Motorrad stehe mittlerweile wieder für Dynamik, Freiheit und Lifestyle. Dabei bedienten sich längst nicht nur Motorradfahrer der Biker-Mode. Brendicke verweist auf Lederjacken, auf T-Shirts mit aufgedrucktem Motorrad oder Stiefel, die den Boots der Biker ähneln.
Das Motorrad ist im Aufwind, wie die Zahlen des Kraftfahrtbundesamtes belegen. Doch Spaß und Nervenkitzel auf zwei Rädern haben ihren Preis. Allein im vergangenen Jahr kamen auf deutschen Straßen 536 Fahrer und Mitfahrer von Krafträdern ums Leben, hinzu kamen fast 10 000 Schwerverletzte, wie aus Zahlen des
Statistischen Bundesamtshervorgeht. Da sind jedoch auf Mofas, Mopeds und Roller eingerechnet.
Mit 28 Prozent sei zu schnelles oder nicht angepasstes Fahren die häufigste Unfallursache, sagt ADAC-Unfallexperte Thomas Unger. «Dieses Fehlverhalten tritt am häufigsten in der Altersgruppe der 21- bis 25-Jährigen auf.» Den jungen Bikern fehle die Fahrpraxis, einige Situationen könnten sie nicht angemessen einschätzen.
Hinzu kommen laut dem Unfallfachmann Unger Wiedereinsteiger, die ihren Führerschein vor vielen Jahren gemacht haben – und sich im fortgeschrittenen Alter eine neue Maschine zulegen. «Die Fahr-Erfahrung liegt in diesen Fällen oft 20 Jahre oder mehr zurück. In dieser Zeit hat sich aber viel getan», sagt Unger. Die Wiedereinsteiger würden ihre Maschine oft unterschätzen und die eigenen Fähigkeiten überschätzen. Im Jahr 2015 wurden laut ADAC 116 Kraftradfahrer im Alter zwischen 18 und 25 Jahren getötet. Unter den 45- bis 55-Jährigen waren es fast 126.
Nach der Finanzkrise von 2008 war die Zahl der Neuzulassungen von Krafträdern – also Motorräder, Motorroller, Mofas, aber auch sehr kleine drei- und vierrädrige Fahrzeuge – auf knapp 140 000 im Jahr 2010 gesunken, ein Rückgang um mehr als 45 Prozent im Zehnjahresvergleich. Mittlerweile ist die Nachfrage rasant gestiegen und mit ihr die Zahl der Neuzulassungen. 2016 wurden wieder mehr als 180 000 Krafträder angemeldet. Im vergangenen Jahr gab es laut ADAC mehr als 4,2 Millionen Krafträder in Deutschland. Das hat auch mit den miserablen Zinsen für Sparguthaben zu tun. «In Zeiten, in denen Nullzinsniveau herrscht, ist die Bereitschaft, in Lebensqualität zu investieren, größer», sagt Brendicke.
Auch für Experten des gesellschaftlichen Wandels ist das neue Interesse für das Motorrad logisch. Das sei eine Flucht aus aktuellen Entwicklungen und einer Welt, in der Digitalisierung und Vernetzung eine immer größere Rolle spielten. «Wir erleben, dass sich viele Dinge in Gegenden abspielen, in denen wir spürbar die Kontrolle verlieren», sagt Trendforscher Ulrich Köhler, der das Trendbüro in Hamburg leitet. Deshalb steige der Drang nach echten Erlebnissen.
Den Rückzug ins Einfache, Überschaubare oder Kontrollierbare sieht Köhler auch bei der neuen Liebe für Schallplatten aus Vinyl, bei Retrowellen der Mode oder dem Trend sehr bewusster und gesunder Ernährung. «Das Motorrad ist die Entsprechung dieser Vorstellung.» Das gelte vor allem für junge Menschen, die von klein auf leistungsfähig sein müssten. Das Motorrad suggeriere Freiheit, Einfachheit und die Rückgewinnung der Kontrolle über das Leben.
Isabel Michler ist 18 Jahre alt – und über ihre Eltern zum Zweirad gekommen. Mit 16 hat die Schülerin aus dem nordrhein-westfälischen Burscheid so schnell wie möglich den A1-Führerschein für eine 125-Kubikzentimeter-Maschine gemacht, zwei Jahre später den A2-Schein draufgesattelt. Was ihr am Motorradfahren gefällt? «Ich finde es schön, diese Freiheit beim Fahren zu haben», sagt Michler. Auf der Maschine könne sie gut abschalten, weil die meisten Abläufe automatisiert seien. «Das verschafft einem ein bisschen Freiraum.»
Auch Michler beobachtet, dass sie mit ihrer Begeisterung nicht allein in ihrer Altersklasse ist. So langsam komme das Motorradfahren sogar bei Frauen gut an. Laut Industrieverband Motorrad ist das Wachstum der neu zugelassenen Leichtkrafträder mit weiblichen Haltern zuletzt sogar deutlich höher gewesen als bei männlichen. Brendicke: «Da wächst eine Generation nach, bei denen der Anteil der Frauen höher sein wird als bei der bestehenden Motorrad-Community.»
Fotocredits: Klaus-Dietmar Gabbert
(dpa)